Mit Ninja Gaiden und Dead or Alive 3 hat Tecmos Team Ninja nicht nur tapfer die Fahne der in Japan entwickelten Titel für die ursprünglichen XBox hochgehalten, sondern auch gleich zwei meiner absoluten Lieblingsspiele erschaffen. Daher ist es kaum verwunderlich, dass ich voller Vorfreude hellhörig wurde, als mit Wanted: Dead ein Actionspiel von den Machern eben dieser Klassiker angekündigt wurde, auch wenn die Entwicklerinnen und Entwickler inzwischen beim Studio Soleil untergekommen sind. Das Spiel ist am 14.02.2023 für den PC, Playstation und XBox erschienen, doch angesichts der Qualität des Machwerks bedaure ich es fast, Publisher 110Industries um einen Code für die XBox One gebeten zu haben.
Dabei ist die Prämisse des Titels durchaus vielversprechend: In einer alternativen Version des Jahres 2022 haben einerseits die 80er Jahre und die deutsche Sprache deutlich größeren internationalen Einfluss auf die Gegenwart, andererseits ist die Technologie soweit fortgeschritten, dass kybernetische Prothesen zur Selbstverbesserung und synthetisch erzeugt Arbeitsandroiden an der Tagesordnung sind. Im Rahmen eines Rehabilitierungsprogramms wird Protagonistin Hannah Stone ihre lebenslange Haft im Militärgefängnis erlassen, um zusammen mit drei anderen schlachtfelderprobten Ex-Knackies im so geformten Suicide … – äh, Verzeihung – Zombie-Squads die Hongkonger Polizei in prekären Situationen zu unterstützen. Der sich konkret eröffnende Fall greift mit der Identitätsfindung der künstlich geschaffenen Menschen kurzzeitig gar ähnliche Storyansätze wie der Kultstreifen Blade Runner auf, besonders für ein Vollpreis-Spiel ist Wanted Dead aber geradezu laienhaft und planlos inszeniert. Sinnfreie Zwischensequenzen ziehen sich zäh wie Kaugummi und schaffen es mangels Dramaturgie weder, konsequent Licht in die wirre Handlung zu bringen noch die in Kapitel aufgeteilten Actionsequenzen stringent miteinander zu verbinden. Stattdessen werden häufig die Teammitglieder in banalen Situationen wie dem Besuch eines Restaurants gezeigt oder inhaltsleere Gespräche nur um ihrer selbst willen geführt. Nun sind gerade japanische Titel durch dafür bekannt, mitunter auch mal „amüsant-merkwürdig“ zu sein, beispielsweise wenn Solid Snake ellenlange Referate über seine Lieblingsfilme hält oder sich Yakuza Held Kiryu mit Exibitionisten herumschlagen muss, doch Wanted Dead ist in meinen Augen einfach nur „merkwürdig-merkürdig“. Wie viel Fremdschäm-Potential und stilistische Inkonsistenz Wanted Dead bietet, wird selbst an den viel zu oft auftretenden Ladeanimationen deutlich: Denn hier wird ohne irgendwelchen Kontext das „Supa Hot Fire“ Meme-GIF aufgegriffen, doch anstatt dann wenigstens den ruckeligen Zwei-Sekunden-Clip vorlagengetreu nahtlos in einer Endlosschleife abzuspielen, wird er von von einer ca. 3 Sekunden langen Schwarzblende unterbrochen. Die angesprochen Sequenzen sollen vermutlich ebenso wie die Möglichkeit, zwischen den Einsätzen das Polizeipräsidium frei zu erkunden, dazu dienen, den Figuren so etwas wie Persönlichkeit zu verleihen, jedoch bleiben sie eindimensional, entbehren jeglicher interessanter Chrakterzüge und fallen vielmehr durch beklemmend unangenehmes Verhalten auf. Das trifft allen voran auf Scharfschütze Belästiger Herzog zu, wenn er offensichtlich ungewollte körperliche Nähe erzwingt oder zotige Sprüche als vermeintliche Witze von sich gibt, die nicht einmal ansatzweise humorvoll sind. Die englischsprachigen Dialoge sind dann auch noch derart amateurhaft vertont, dass man sich fragen muss, ob hier wirklich Sprecher und Sprecherinnen unter professionellen Bedingungen in ein Tonstudio gebeten wurde, oder zufällig ausgewählte Leute in Heimarbeit Sätze ohne deren Kontext zu kennen mit einem alten Mobiltelefon aufgenommen haben. Die Synchronstimme der Hauptdarstellerin dürfte deutlich hörbar Englisch nicht als Muttersprache erlernt haben, sondern – wenn ich auf Basis einer akzentfreien Interpretation von „99 Luftballons“ raten müsste – Deutsch, was jedoch nicht davon entbinden sollte, dem Gesprochenen in irgendeiner Form Gefühl zu verleihen oder es auf die jeweilige Situation im Spiel anzupassen.
Über diese stilistischen Kritikpunkte könnte man eventuell sogar noch hinwegsehen, wenn die Spielmechanik stimmen würde – schließlich ist selbst in den besten Actionspielen Setting oder Story eher Nebensache -, doch auch in diesem Punkt versagt Wanted Dead kläglich, selbst wenn man sich die Kämpfe, in denen man sich wohlgemerkt als Gesetzesvertreterin im Rang eines Detectivs findet, halbwegs logisch erklären könnte. Erneut hört sich die Grundidee, deckungsbasierten Shooter mit stylischer Character-Action zu verbinden, eigentlich nach einem frischen, spaßigen Konzept an. Überraschenderweise ist der schusswaffenbasierte Teil der oft in übersichtlichen Arenen ausgetragenen Gefechte dann sogar zunächst das kleinere der beiden Übel: In der Nähe von Mauern, Barrikaden und sonstigen Landschaftselementen wird relativ anstandslos automatisch in Deckung gegangen, verschiedene Zweitwaffen erhöhen die Durchschlagskraft und das Standard-Gewehr kann ebenso wie die vorrangig für kürzeste Distanzen genutzte Pistole hinsichtlich diverser Eigenschaften modifiziert werden. Doch gewisse Gegnertypen, die selbst auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad, der erst nach mehreren Fehlversuchen freigeschaltet wird, Unmengen an Kugeln einzustecken beziehungsweise komplett von ihnen unbeeindruckt zu bleiben, vermiesen dann schon mal die Feuergefechte, zumal man sich schnell von allen Seiten attackiert findet und somit das Deckungs-Feature nur bedingt hilfreich ist. Chronischer Munitionsmangel und die unnatürlich wirkende Geschwindigkeit, mit der sich die Widersacher fast schon gleich einem Benny-Hill-Sketch zwischen den Schutzmöglichkeiten bewegen, sind weitere – wenn auch nicht motivierende Anreize – in den Nahkampf überzugehen. Der ist jedoch gerade hinsichtlich der Referenzen des Teams hinter Wanted Dead mehr als enttäuschend. Für die Auseinandersetzungen von Angesicht zu Angesicht steht Hannah lediglich ihr Samuraischwert beziehungsweise die X-Taste als Angriffsoption zur Verfügung, was die Möglichkeit der sonst so typischen Kombos und Waffenwechelwirkungen arg einschränkt. Zwar lässt sich auch noch ein Schuss aus der Pistole einstreuen, die ist aber vor allem zur Abwehr ansonsten unblockbarer Attacken hilfreich. Normale Hieb- und Stichangriffe können stattdessen theoretisch per Seitenschritt vermieden oder Schultertaste geblockt und pariert werden. Doch wo sich alle Ninja Gaiden-Teile trotz berechtigter Kritikpunkte butterweich und exakt steuern lassen, fühlt sich Wanted Deads Offensivbewegungen auf kurze Distanz ungewohnt passiv, träge und ungenau an. Während Ryu Hayabusa praktisch mit Controller und Spieler verschmilzt, so dass man jederzeit das Gefühl hat, ihn wirklich zu steuern, wirken Hannah Stones Aktionen mit dem Katana distanziert, indirekt und mitunter etwas verzögert. Mag es an der mangelnden Performance der Xbox One S, merkwürdiger Animations-Priorisierung oder sonstigen Gründen liegen, aber regelmäßig scheinen Blocks wenig Effekt zu haben oder verhindern trotz vermeintlich korrekter Ausführung nicht, dass die Heldin ohne Kontrollmöglichkeiten zurückgeworfen wird. Wenigstens setzt man die für Ninja Gaiden typische Tradition einer störrischen Kamera fort, so dass man oft in eine Ecke gedrängt die Übersicht verliert und nachjustieren muss, um überhaupt erkennen zu können, aus welcher Richtung man angegriffen wird. Dazu gesellen sich andere Klassiker schlechten Designs wie unpassende Rücksetzpunkte, durch die man beim Scheitern gerne auch mal eine halbe Stunde wiederholen darf, oder dumme KI, die sich zumindest auf beiden Seiten des Konflikts wiederfindet. So stürmten in einem Treppenhausabschnitt mehrere Feinde seelenruhig an mir vorbei ins Erdgeschoss, nur um anschließend wieder zu mir aufzuschließen. Die bis zu drei Teammitglieder, die Hannah auf ihren Einsätzen begleiten, ballern dagegen zwar permanent aus allen Rohren, erledigen ab und an tatsächlich mal einen Gegner und es lassen sich über den Verbesserungbaum sogar aktive Fähigkeiten für sie freischalten, ihr tatsächlicher Nutzen hält sich aber dennoch in Grenzen und oft genug stehen Sie dumm in der Schusslinie herum. Die Upgrades für die eigene Spielfigur haben ebenfalls kaum merkbaren konkreten Einfluss auf den späteren Spielverlauf. Aus diesen mäßigen Gameplayelementen zimmerte Entwicklerstudio Soleil schließlich eine öde und uninspirierte Struktur, in der sich ohne jegliche Abwechslung endlose Korridore und Gefechtsarenen aneinanderreihen, in die schiere Unmengen der eigentlich nur zwei verschiedenen Prototypen von Widersachern geworfen werden: Soldaten mit Automatikwaffen, die sobald möglich auf Distanz gehen und aus sicherem Abstand das Dauerfeuer eröffnen, und schwertschwingende Shinobis, die uns mit ihren Klingen den Garaus machen wollen. In einzelnen Abschnitten werden die Charaktermodelle zwar großzügig durch Gangster oder rebellierende Arbeiter ersetzt und regelmäßig werden überdies gepanzerte Infantrieeinheiten und Elite-Ninjas in den Mix geworfen, echte Abwechslung sucht man jedoch vergebens, woran selbst die wenigen Bossgegner nichts ändern. Aufgrund der geschäftigen Situationen hatte ich nie das Gefühl, eine hochpräzise Killermaschine zu steuern, die es dank taktischer Überlegenheit und exakter Ausführung mit Heerscharen an Kontrahenten aufnehmen kann, sondern dass unter unvermeidbar erlittenem Schaden lediglich Energiebalken und Heilpacks gegeneinander abgewogen werden. Daher würde es mir nicht einmal im Traum einfallen, mich an einem höheren Schwierigkeitsgrad zu versuchen.
Bei derart schlechten Spielbarkeit dürfte es wenig verwunderlich sein, dass auch die audiovisuelle Präsentation von Wanted Dead nicht gerade überragend ausfällt. Die Charaktermodelle sind dabei noch relativ hübsch anzusehen, und geschwächte Gegner lassen sich mit einem durchaus coolen Finisher im John Wick Stil ausschalten. Der allgemein hohe Gewaltgrad mit abtrennbaren Körperteilen und Blutspritzern, die dauerhaft den Spielfiguren anhaften, dürften dagegen eher zu Playstation 2 Zeiten ein wirklich erwähnenswertes Feature gewesen sein. Stattdessen hätten einige Animationen etwas mehr Arbeit vertragen können, da vor allem beim Aufeinandertreffen von Stahl und Körper die beteiligten Polygonmodelle weiterhin etwas distanziert und unabhängig voneinander zu agieren scheinen. So ist vor allem die als Extrawaffe einsammelbare Kettensäge an Lächerlichkeit kaum zu übertreffen, clippt das Werkzeug doch mehr durch die Widersacher statt glaubwürdige Schnittverletzungen darzustellen.
Ebenso sind die oft etwas dunkel geratenen Umgebungen per se nicht unbedingt hässlich, mit Settings wie Park, Club oder Bürogebäude jedoch alles andere als einfallsreich oder spektakulär und in ähnlicher Form sicherlich auch auf ein bis zwei vorherigen Hardwaregenerationen möglich gewesen. Dabei vollbringen sie zumindest das Kunststück, gleichzeitig leer und verwirrend zu wirken, denn mehr als einmal fand ich mich nach Beendigung einer Gefechtssequenz auf dem Weg wieder, auf dem ich das Areal betreten hatte, da es kaum nennenswerte Orientierungspunkte gibt. Außerdem besteht der lineare Weg der Polizeitruppe durch die Level gerade in Anbetracht der oben beschriebenen Kameraprobleme aus einer fast schon böswillig hohen Anzahl aus engen Räumen.
War die Synchronisation bereits in den Zwischensequenzen zum Stirnrunzeln, sind die Zwischenrufe der Kollegen in den eigentlichen Spielszenen nahezu unerträglich. Wer im Sekundentakt die immer gleichen Sprachsamples „grenade“ und „reinforcements“ hört, wünscht sich schnell, das Abenteuer ausschließlich mit dem stummen Partner Cortez bestreiten zu können. Und während die Jukebox im Hauptquartier überraschend eingängige 80er Pop-Ohrwürmer und Coverversionen von Hits wie „Maniac“ bereithält (teils interpretiert vom niederländischen Model Stefanie Joosten, genau: Silent aus Metal Gear V!!!), wird die Action von bestenfalls akzeptablen Klängen verschiedener Stilrichtungen untermalt, die aber gerade gegen Ende des Spiels aus nervtötenden Dauerschleifen von maximal 10 Sekunden bestehen.
Falls es bis hier hin noch nicht deutlich geworden ist: Wanted Dead ist kein gutes Spiel! In den besten Momenten war ich lediglich gelangweilt, in den schlechtesten aktiv verärgert. Von belanglosen Erkundungen im HQ-Hub abgesehen läuft das Spiel von der ersten Sekunde an nach dem gleichen, langweiligen Schema ab und das unausgegorene Kampf-, Level- und Gegnerdesign erstickt jegliche Form von Spielspaß im Keim. Selbst das vielgescholtene Ninja Gaiden 3 ist um Längen besser, und angesichts sehr viel älterer hochkarätiger Konkurrenztitel aus dem Hause Platinum wie Bayonetta, Vanquish oder Metal Gear Rising muss man sich wirklich fragen, welche Daseinsberechtigung Wanted Dead hat. Einen ernstgemeinten versöhnlichen Aspekt hat das Spiel dann aber doch: Denn neben ungelenken Minispiel-Abklatschen von Karaoke und Kranspielen findet sich auch ein erstaunlich kompetenter 16Bit-Horizontalshooter im Stil eines R-Types. Hätte man in diesen etwas mehr Arbeit gesteckt und das Ganze für schlankes Geld zum Kauf angeboten, statt Wanted Dead fertigzustellen, wäre die Gamingwelt um einiges besser dran.