XBox Review: Valfaris: Mecha Therion im Test (XBox One/XBox Series)

Die Entwicklung der Gamingbranche kann man wohl am deutlichsten anhand der zur jeweiligen Zeit populären Konzepte und Genres von Pong-Klonen und Maze-Games bis hin zu Open World oder Live Service Titeln mit dutzenden von Spielenden nachvollziehen. Mit deren Veränderung einher geht leider oftmals auch eine Verdrängung ehemals marktbeherrschender Spielarten, die bestenfalls weiterhin durch spezialisierte Nischen abgedeckt werden. Kaum ein Metier veranschaulicht dieses besser als das der hierzulande auch Ballerspiele genannten Shoot’em ups. Waren in den 80ern und frühen 90ern Spiele, in denen Flugzeuge, Raumschiffe oder anderweitig fliegende Protagonisten in horizontal oder vertikal scrollenden Umgebungen massenweise Gegnerwellen in unterschiedlichen Formationen abschießen, sowohl in der Spielhalle als auch auf Heimkonsolen DIE dominanten Vertreter der elektronischen Unterhaltung und Aushängeschilder dessen, was auf der jeweiligen Hardware machbar war, sind moderne Exemplare eher rar gesät und zielen vor allem in Form des Unter-Klassifizierung Bullet-Hell oft auf eine kleine, eingefleischte Fangemeinde ab, während außerhalb dieses speziellen Kontext der Begriff „Shooter“ heutzutage üblicherweise zum verkürzten Synonym für waffenbasierte Action aus der Ego- beziehungsweise First-Person-Perspektive wurde. Zum Glück gibt es Studios wie Steel Mantis, die mir nicht nur freundlicherweise über Publisher Big Sugar Games einen Code für Valfaris: Mecha Therion haben zukommen lassen, sondern mit dem Titel auch einen exzellenten Horizontal-Shooter abgeliefert haben, der sich anschickt, den gebotenen einen Platz im Scheinwerferlicht des Mainstreams einzunehmen. Das Spiel wurde bereits vor einiger Zeit für den PC veröffentlicht und steht seit kurzem auch auf allen gängigen Konsolen für circa 20 Euro zur Verfügung, um dort Experten und Einsteiger gleichermaßen zu begeistern. Als Nachfolger des schlicht Valfaris betitelten Vorgängers, den ich bislang noch nicht gespielt habe, wechselt Valfaris: Mecha Therion zwar das Genre von ebenfalls sehr traditionellen Run and Gun, behält aber den Heavy-Metal-lastigen Habitus und den Titelhelden Therion bei, der ganz den Untertitel folgend in einen raketenbetriebenen Mech verfrachtet wird und sich somit bei seinem Rachefeldzug frei über den Bildschirm steuern lässt.

Als Sub-Genre-Vertreter der Shoot’em ups mit humanoiden Vehikeln weist auch Valfaris: Mecha Therion einige typische Eigenheiten wie ein weniger hektisches Tempo und etwas größere Figuren auf. Auch die Steuerung trägt den vielseitigen Möglichkeiten der mechanischen Kampfrüstung Rechnung: Während die A-Taste für klassische Fernangriffe zuständig ist, kann mit X eine Nahkampfwaffe wie ein Schwert in einem begrenzten Radius geschwungen werden. In der Nähe von Gegnern eingesetzt ist sie dank großzügiger Treffer-Erfassung nicht nur dazu geeignet, Widersacher mit einer Alternative zu Kanonen und Lasern aufs Korn zu nehmen und gegebenenfalls auf Abstand zu halten, sondern kann gar nützlich sein, sich feindlicher Geschosse zu erwehren. Zudem helfen derartige Attacken, eine Energieleiste gefüllt zu halten, nur mit der die primäre Bewaffnung ihr volles Potential entfaltet. Außerdem kann diese Leistungsquelle auch für Spezialangriffe wie ein zielsuchender Raketensturm mittels der Y-Taste genutzt werden. Ausrüstbare Gegenstände wie ein Magnet zum schnelleren Einsammeln von Items, Begleiter wie schützende Satelliten, die Möglichkeit, durch kurzzeitigen Boost Feinde zu rammen oder Blockaden zu durchbrechen sowie auf Wunsch manuell statt automatisch die Schussrichtung zu wechseln, komplettieren das Arsenal an Aktionen, auf die Therion in der Schlacht zurückgreifen kann. Erscheinen diese Optionen auf den ersten Blick für ein Shoot’em up recht komplex, geht sie doch schnell in Fleisch und Blut über, und die Notwendigkeit, ähnlich wie in den neueren Doom-Spielen Nah- und Fernkampf zwecks Energiemanagement und Schadensvermeidung zu kombinieren, verleiht dem Titel eine nicht unerhebliche Tiefe, die ihn angenehm von simpleren Shootern abhebt. Ebenfalls nicht ganz traditionell ist die Handhabung der Waffensysteme. Statt mittels  einsammelbarer Power’Ups innerhalb der Level ad hoc die Angriffsart zu bestimmen und zu verbessern, wird neues Kriegsgerät wie Energiekanone oder Plasmaschwert automatisch nach dem Sieg über Zwischen- und Endgegner freigeschaltet. Die sinnvoll platzierten Rücksetzstationen innerhalb der 9 zumeist langen Abschnitte dienen dann nicht nur als Ausgangspunkt bei kompletter Zerstörung der Kampfrüstung, sondern auch als Werkstatt, um über ein einfach zu bedienende Menü die passende Konfiguration aus später jeweils einer guten Handvoll an Möglichkeiten für den Feldzug auszurüsten. Darüber hinaus kann dort die Feuerkraft der Offensiv-Optionen mit Hilfe gesammelter Währungen gleich mehrfach verbessert werden.
Dies ist auch durchaus nötig, denn das Feindaufgebot ist weder hinsichtlich Menge noch Zähheit zu unterschätzen. Valfaris: Mecha Therion bietet dabei eine hervorragenden Mix aus Umweltgefahren, simplem Kanonenfutter, stationären Geschützen und dickeren Brocken, die einiges einstecken können, sowie zahlreiche Bosse von imposanter Größe. In der Regel verfügen die Gegner allesamt über gut abgestimmten Bewegungs- und Angriffsmuster und somit die Grundvoraussetzung für ein gelungenes Shoot’em up. Die Umgebungen sind ebenfalls sehr stimmig und abwechslungsreich gestaltet, beispielsweise wenn in verwinkelten Katakomben die Scrollrichtung auch mal wechselt oder sich in einem Feld aus rotierenden Asteroiden mögliche Flugbahnen ständig verändern. Aufmerksame Beobachter entdecken indes jeweils zwei, drei mehr oder wenig gut getarnte Geheimkammern in jedem Level. In diesem Zusammenhang begrüße ich besonders, dass Kollisionen mit Landschaft oder Wänden normalerweise ohne Schaden verlaufen. Insgesamt würde ich Valfaris: Mecha Therion durchaus Einsteigerfreundlichkeit bescheinigen. Die Spielgeschwindigkeit und Größe der Akteure und Projektile sorgen für eine gute Lesbarkeit des Geschehens, und die Lebensleiste verzeiht je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad bis zu vier Treffer. Trotzdem ist selbst auf der einfachsten Einstellung Valfaris: Mecha Therion gerade gegen Ende hin kein Spaziergang, etwa wenn man mehrere Wächter direkt nacheinander oder parallel bekämpfen muss. Hartnäckigkeit lohnt sich jedoch, ist es doch ein erhebendes Gefühl, sich die Muster einzuprägen, eine entsprechende Strategie zu entwickeln und im X-ten Anlauf siegreich aus dem Kampf hervorzugehen, um weiter in die Welt von Valfaris: Mecha Therion vorzudringen. Erwartungsgemäß ist dabei die hauchdünne Hintergrundgeschichte nicht der Hauptmotivator: Es gibt zwar eine kleine Intro- und Outro-sequenz und mittels Textboxen werden mitunter Geplänkel und Trashtalk ausgetauscht, dennoch bleiben gerade für Nicht-Kenner des Vorgängers viele Fragen offen, beispielsweise warum Therion seinen Vater Vroll jagt oder warum die Seele sein Bruder in sein Schwert steckt(?). Zum Glück beschränkt sich das Narrativ auf ein Minimum und bringt den Spielfluss zu keinem Zeitpunkt ins Stocken. Hinsichtlich der audiovisuellen Darbietung macht der Mech-Shooter da schon eine bessere Figur. Die Grafik ist als modernisierte Retro-Optik neben den offensichtlichen Metal-Einflüssen auch klar von der ersten Playstation inspiriert. Trotz der weitestgehend  traditionellen Seitenansicht sind die Szenarien nicht in flachem 2D gehalten, sondern als räumliche Umgebungen ausmodelliert, während sich das Spielgeschehen auf eine plane Ebene beschränkt, so dass sich -ohne dass ich Sonys Einstiegshardware oder den entsprechenden Titel je besessen hätte- Vergleiche zu Klassikern wie Einhänder oder R-Type Delta anbieten. Von der ersten Konsolengeneration, die sich der dritte Dimension verschrieben hat, übernommen sind typische Elemente wie in Nahaufnahme pixelige Texturen, sichtbare Animationsphasen der wenigen, „ressourcenschonenden“ 2D Objekten und ein teils kantiger Look dank reduzierter Anzahl an Polygonen. Darauf aufbauend erzeugt der Titel mit vielen Effekten und Techniken, die auf der damaligen Hardware undenkbar gewesen wären, aber eine ganz eigene Ästhetik zwischen neu und alt, die mir zuletzt in ähnlicher Form auch im Boomer-Shooter Prodeus untergekommen ist: Vor allem die stimmige, fein abgestufte, kräftige Beleuchtung sorgt neben der hohen Auflösung für eine zeitgemäße Anmutung und das Effektfeuerwerk, mit dem Feinde auf sehr befriedigende Weise in blutigen Wolken und grollenden Explosionen in Ihre Einzelteile zerlegt werden, ist ein wahrer Grund zur Freude. Wirklich spektakulär werden die Passagen allerdings durch die Dynamik, die in ihre Gestaltung gesteckt wurde: nicht nur größere Teile der Kulisse wie die zuvor erwähnten Asteroiden sind in ständiger Bewegung, es schwirren auch zahlreiche Partikel durch den Äther, während sich auf Oberflächen hunderte von Blumen im Wind wiegen oder Tentakel nach Beute nesseln. Die 3D Hintergründe erlauben zudem bei Zeiten überraschende Perspektivwechsel, interessante Kameraschwenke und eine kreative Nutzung der Tiefen-Dimension. Gerade der erste Level ist diesbezüglich imposant, doch auch im weiteren Verlauf werden Spieldesign mit lebhafter Darstellung kombiniert, etwa, wenn ein Raumschiff aus dem Hintergrund durch Buntglasfenster auf den Protagonisten schießt. Sowohl das melancholisch morbide Settings in vielen Lila- und Blautönen als auch das Gegnerdesign mit der Mischung aus biomechanischen Krabbelviechern , martialischen Maschinen und altertümlich anmutenden Rüstungen sind dem Warhammer-Universum nicht ganz unähnlich, aber auch eine klare Huldigung der Hard-Rock und Heavy Metal Szene und wirken mit Anleihen bei der nordischen Mythologie wie ein zum Spiel gewordenes Albumcover entsprechender Bands aus den 90ern. Zwar störe ich mich etwas an der vielleicht sogar bewusst schmuddeligen und dezent amateurhaften Ausgestaltung von Schriftart, pixeligen Portraits und beteiligten Akteuren, muss aber zugestehen, dass sie hervorragend den rohen und aggressiven Charakter des Spiels unterstreichen. Gleiches trifft auch auf den Soundtrack zu, der definitiv erwähnt werden muss. Gerade weil in meiner persönlichen Playlist harter Rock praktisch keine Rolle spielt, ist es umso erstaunlicher, wie gut mir die Musik von Valfaris: Mecha Therion gefallen hat. Kreischende Gitarren, zum Headbangen einladende, wummernde Bässe und rasende Schlagzeuge könnten angesichts der Action auf dem Bildschirm kaum passender sein, ohne die Grenze zur Ironie zu überschreiten.

Mit seiner nun breit aufgestellten Veröffentlichung rückt Valfaris: Mecha Therion ein etwas in Vergessenheit geratenes Genre auf diversen Plattformen in den wohlverdienten Fokus und verpasst ihm in gleich mehrerlei Hinsicht einen modernen Anstrich, ohne seine Wurzeln zu vergessen. Der Titel bietet klassische, kurzweilige und adrenalingeladene Action von der ersten bis zur letzen Sekunde und versteht es hervorragend, das Gefühl, das man beim Zocken von Klassikern wie Katakis oder Gynoug verspürt hat, in die aktuelle Zeit zu holen. Wer sich auch nur im geringsten für derartige Spiele erwärmen kann, sollte einen Blick riskieren.

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