Xbox review: XIII (2003): das bessere Wolfenstein?
geschrieben am 23.06.2019
Keine 13, sondern vielmehr über 15 Jahre ist es her, dass Ubisoft mit XIII einen Egoshooter der etwas anderen Art veröffentlichte. Basierend auf der gleichnamigen belgischen Graphic Novel Serie aus den 80’ern erschien der Mix aus Action und Stealth für den PC und die Konsolen Gamecube, Playstation2 und Xbox, wobei letztgenannte Version – dank Abwärtskompatibilität auf einer Xbox 360 gespielt – auch für diesen Review herangezogen wurde.
Der Geschichte der Vorlage folgend beginnt das Spiel etwas klischeebehaftet mit einem an den Strand angespülten, unter Amnesie leidenden Protagonisten, doch schon bald nimmt die Story Fahrt auf und entwickelt sich zum Thriller rund um Doppelidentitäten, US-Verschwörer, Präsidentenmorde und Staatsstreiche [eine Wortfolge, die diesen Blog sofort auf eine NSA-Watchlist setzt?], der mit Vorhersehbarkeit und einigen Plotlücken vielleicht keine preis-verdächtige Handlung, aber doch zumindest eine packende Inszenierung etwa im Stil der Jason Bourne Filme bietet. Außerdem werden vor allem unter dem Gesichtspunkt der aktuellen politischen Lage in den USA einige fast schon prophetische WTF-Momente geliefert, etwa wenn – Achtung kleiner Spoiler – sich der weiße Kapuzenkutten tragende elitäre Geheimbund zu einem konspirativen Treffen versammelt, um –wortwörtlich – „Amerika wieder zu seiner ursprünglichen Stärke zu verhelfen“.
Aber nicht nur erzählerisch, sondern vor allem visuell werden die Comic-Wurzeln deutlich. Am auffälligsten – und vermutlich auch verantwortlich für den mäßigen finanziellen Erfolg des Spiels – ist natürlich die Cel-Shading Grafik, die mit dicken schwarzen Außenlinien und harten Schattierungen den 3D Figuren eine handgezeichnete Optik verleiht. Jedoch verwendet XIII anders als einige andere Titel nicht (ausschließlich) relativ einfarbige, flächige Texturen, sondern setzt beispielsweise bei Böden, Hecken oder schmuddeligen Mauern durchaus auf etwas mehr Details, teils „klassisches“ Rendering, etwa bei glänzenden Oberflächen, und Verläufe von gedeckten Tönen, die dank entsprechender Farbwahl ganze Levelabschnitte in stimmungsvolles Rotbraun oder kühles Blau tauchen. Durch diesen Mix wird ein selbst für Cel-Shading-Spiele unverkennbarer Look geschaffen, der weitaus besser gealtert ist als der von Spielen, die sich um möglichst realistische Grafik bemüht haben. Zudem läuft das Spiel konstant in flüssigen 60 Frames, wenn auch leider im veralteten 4:3 Format. So ansehnlich der grundsätzliche Stil auch heutzutage vor allem in Screenshots noch sein mag, sind die Charaktere in Bewegung leider etwas spärlich animiert und staksen leicht hölzern durch die Spielabschnitte. Diese wiederum wirken an diversen Stellen sowohl in Innen- als auch Außenbereichen darüber hinaus etwas leer, da nicht selten an Umgebungsdetails gespart wird und vielerorts die gleichen Grafikelemente zum Einsatz kommen. Hier wird deutlich, dass sich Budget und Teamgröße vermutlich nicht mit denen aktueller AAA Entwicklungen vergleichen lassen.
Zur meiner Überraschung sehen zumindest die Texturen dabei selbst von nahem noch relativ gut aus, was sich beispielsweise für die 360 Version von Wolfenstein nicht sagen lässt (und das wird nicht das letzte mal sein, dass ich XIII mit diesem Titel vergleichen werde).
Konsequenterweise finden sich klassische Comicelemente neben der reinen technischen Seite der Grafik auch in vielen anderen spielrelevanten Aspekten wieder. Bereits Menüführung und Zwischensequenzen bedienen sich beispielsweise der für die Bildgeschichten typischen Panel-Aufteilung, die auch in den Spielsequenzen per Bild-in-Bild-Technik spektakuläre Kopftreffer in Szene setzt oder Auskunft darüber gibt, was gerade andernorts passiert. Dem rein visuellen Medium wird auch dadurch Zoll getragen, dass sämtliche Dialoge zusätzlich in Sprechblasen eingefangen werden und Soundeffekte wie Maschinengewehrgeknatter, Explosionen oder Todesschreie in lautmalerischen Buchstaben auf dem Bildschirm erscheinen und die seltene Möglichkeit bieten, das Wort Onomatopoesie in einem Review zu verwenden. Zudem löst dieses Stilmittel in fast schon genialer Weise ein Problem, an dem die meisten Schleichspiele in Ego-Perspektive kranken: Denn durch die stark eingeschränkte (Über)sicht läuft man normalerweise nur allzu oft einem hinter einer Ecke oder verschlossenen Tür patrouillierenden Gegner in die Arme (hüstel … Wolfenstein … hüstel ). XIII erzeugt eine dem Spielspaß zuträgliche Asynchronität der Sichtbarkeit („ich weiß wo du bist, du aber nicht, dass ich da bin“), indem Fußschritte per „Tap Tap Tap“-Texte auch durch Wände und andere Hindernisse hindurch visualisiert und dabei größer werden, je näher sie sind. So lassen sich Laufwege zumindest erahnen und Feinde beispielsweise mit überall im Level verstreuten Flaschen oder Aschenbechern hinterrücks ausschalten. Weitere Waffen für lautloses Vorgehen, Körper, die aufgehoben und versteckt werden können, Lüftungsschächte zum Umgehen von Wachen oder Alarmknöpfe, die von aufgescheuchten Posten erst erreicht werden müssen und an denen sich der Ausnahmezustand auch beenden lässt, machen aus dem eigentlichen Egoshooter zugleich ein für das Genre erstaunlich komplettes Stealth-Game. Dass die KI dabei nicht unbedingt die hellste ist fällt bei heimlicher Spielweise eigentlich nicht weiter ins Gewicht, da die Gegner zum einen ihren Mangel an Grips mit schnellen Reaktionen und Treffsicherheit wettmachen, und zum anderen bei dieser Art von Spielen der Reiz mitunter genau darin liegt, Stück für Stück eine Schar von zahlenmäßig überlegenen, aber eben dummen Widersachern zu erledigen. Leider gibt es während des Spielverlaufs immer wieder inzwischen etwas antiquierte Abschnitte, in denen das Entdeckt werden im sofortigen Game Over resultiert. Jenseits dieser strickten Vorgaben oder in vielen offensiver angelegten Passagen wird zur gleichwertigen Action gewechselt, die sich ebenfalls mit einer Vielzahl an stets sinnvoll einsetzbaren Waffen von der einfachen Pistole über Schrot- und Scharfschützengewehr bis in zur Bazooka bestreiten lässt. Hier fällt allerdings das fragwürdige Verhalten der größtenteils aus Gangstern und Soldaten bestehenden Feinde schon etwas unangenehmer auf. Während der offenen Gefechte gehen Sie zwar zumindest gelegentlich in Deckung, setzen aber gerne auch mal auf etwas planlose Frontalangriffe. In den frühen Leveln wirken die Feuergefechte gegen noch mit etwas schwachbrüstigen Schießeisen ausgestattete Schergen somit etwas banal, werden aber in späteren Abschnitten dank besserer Bewaffnung und Körperpanzerung auf beiden Seiten risikoreicher und verlangen oftmals mehr Glück und Reaktionsvermögen denn taktisches Vorgehen. Das etwas altbackene Shooterdesign gipfelt schließlich in den Bosskämpfen, die sich dank überlanger Lebensleisten in die Länge ziehen und beispielsweise die Frage aufwerfen, woraus die einfache Uniform eines hohen Militärs wohl geschneidert sein mag, dass sie unzählige MG-Salven und sogar Granatenbeschuss übersteht, während man ihn wieder und wieder um einen Konferenztisch jagt.
Da die Konsolenversion außerdem kaum über die inzwischen übliche Zielunterstützung verfügt, ist es um so ärgerlicher, dass die automatischen Speicherpunkte teils sehr weit auseinander gelegt wurden, zumal XIII noch zu der Generation von Shootern gehört, in denen nicht automatisch geheilt wird, sondern sammelbare Medipacks Verwendung finden. Diesbezüglich dürfte die PC-Fassung dank Maussteuerung klar im Vorteil sein, so dass es keine Schande sein sollte, auf der Konsole das Abenteuer auf dem leichtesten der drei Schwierigkeitsgrade zu bestreiten, um frustrierendes Wiederholen von Abschnitten zu vermeiden. Ansonsten gibt es an der im Vergleich zu modernen Spielen (ebenfalls: siehe Wolfenstein) fast schon puristischen Steuerung wenig auszusetzen: mit wenigen Tasten können problemlos die Waffen gewechselt und deren Sekundärfunktion wie Zoom oder Granatwerfer aktiviert werden. Neben Sprung und Hocke steht eine Taste zum Nachladen und Interaktion mit der Umgebung bereit, ebenso lassen sich mit dieser Hilfsmittel wie Verbandskästen aktivieren, wobei zum schnellen Heilen auch ein eigener Knopf spendiert wurde. Weiterhin kommen an bestimmten Stellen spezielle Gadgets in Form eines Dietrichs und eines Enterhaken zum Erklimmen luftiger Höhen zum Einsatz. Die Seilwinde erinnert dabei frappierend an die Klettereinlagen im ebenfalls von Ubisoft stammenden Farcry 4 und sorgen für etwas Auflockerung beim Durchqueren der Spielabschnitte, die dank verschiedener kleiner Unteraufgaben ebenfalls recht vielfältig gestaltet sind.
Auch geographisch bestreitet XIII eine abwechslungsreiche Reise durch den amerikanischen Kontinent und führt von urbaner Umgebung über geheime Militärbasen bis hin zu Dschungelcamps, verschneiten Landschaften und zerklüfteten Gebirgszügen in sengender Hitze. An Stellen, an denen sich die weitestgehend linearen Level dann doch etwas öffnen, leidet leider aufgrund der eingangs beschriebenen Detailarmut etwas die Übersichtlichkeit, so dass man bisweilen nach dem rechten Weg zum nächsten Missionsziel suchen muss.
Zur passenden musikalischen Untermalung des Katz und Maus Spiels ertönen an Agentenfilme erinnernden Jazzklänge, die je nach Situation mal perkussionlastig treiben, mal ruhig und spannungsgeladen ausfallen. Auch bei der deutschen Vertonung hat man mit den Synchronstimmen von Robert Redfort oder Patrick Stewart aka Captain Pickard eigentlich einen sehr guten Job gemacht, nur bei der Wahl des Hauptcharakters wurde mächtig daneben gegriffen: Denn für den im englischen Original von David Duchovny gesprochenen Protagonisten verpflichtet das Studio aus welchen Gründen auch immer einen hörbar desinteressierter Ben Becker, der klingt, als habe er die Dialoge mal eben per Telefon zwischen zwei Kokspartys eingesprochen. Zum Glück zählt die Titelfigur XIII zu den eher schweigsamen Helden, so dass man ihn nicht all zu häufig zu hören bekommt.
Abseits der Kampagne gibt es außerdem noch einen Mehrspielermodus mit (für 2003) typischen Varianten wie Deathmatch oder Capture the Flag auf einer ordentlichen Anzahl an Karten. Botseidank lässt sich auch bei inzwischen abgeschalteter xBox-Live Unterstützung für Microsofts erste Konsole mit computergesteuerten Gegner erleben, wie eine Multipayermatch vor Battle Royal, XP-Boostern und Lootboxen aussah. Auch hier ist die KI mit Vorsicht zu genießen, so dass ich oftmals den kurz andauernden Partien ein oder zwei clevere Gegner hinzufüge und den Rest mit einfachen Kanonenfutter auffülle.
Auch wenn ich XIII persönlich noch in angenehmer Erinnerung halte, hätte ich noch bis vor Kurzem dem Titel im Rahmen einer Einordnung in den modernen Kontext keine allzu große Rolle zugesprochen. Der bemerkenswerten Inszenierung und cleveren First-Person-Stealth-Ansätzen stehen der heutzutage mehr denn je auffallende fehlende Feinschliff in der Präsentation, vor allem jedoch ein Shooter-Gameplay gegenüber, dass bereits 2003 kurzweilig, aber kaum mehr als durchschnittlich war. Eigentlich schien mir wegen des Alters, der schwachen Absatzzahlen und eventuellen Lizenzaufwands eine Neuauflage oder späte Umsetzung des noch ausstehenden Nachfolgers sehr unwahrscheinlich, so das ich mir fast eine alternative Zeitlinie gewünscht hätte, in der der Titel größeren Einfluss auf das Genre und das Team somit die Chance gehabt hätte, Technik und Konzepte über die Jahre weiterzuentwickeln. Wer weiß, wie viel unterhaltsamer Wolfenstein: the new order ausgefallen wäre, wäre es auf magischer Weise bei Ubisofts XIII-Entwickler gelandet. Um so überraschter war ich, als eben doch für November 2019 ein Remake angekündigt wurde. Es bleibt abzuwarten, durch behutsame Anpassungen und Einfluss aktuellen Designs das Spiel spät zu wohlverdienten Ehren aufsteigt, oder man den Titel angesichts einer hingeschluderten HD Fassung lieber in Frieden hätte ruhen lassen.