Xbox One Review: Hotshot Racing im Test
geschrieben am 10.10.2020
Manche Ideen sind einfach zu naheliegend, als dass sie nicht mehrfach und unabhängig voneinander umgesetzt werden. So rühmen sich gleich mehrere Personen, das Telefon oder die Currywurst erfunden zu haben (zwei gleichermaßen bahnbrechende Innovationen), und im Jahr 1998 kamen mit Armageddon und Deep Impact gleich zwei Filme in die Kinos, die die Bedrohung der Erde durch Asteroideneinschlag thematisierten. So dürfte es auch nur ein amüsanter Zufall sein, dass sich nur kurze Zeit nach Formula Retro Racing mit Hotshot Racing ein weiterer Indie-Racing-Titel anschickt, in die Fußstapfen von Virtua Racing und ähnlichen Arcade-Rennspielen zu treten. Dass sich die Entwickler von Sumo Digital in dem Metier auskennen, konnten sie bereits bei von mir hoch geschätzten Titeln wie der Konsolen-Version von Outrun 2 oder Sonic and Sega All-Stars Racing unter Beweis stellen. Ohne SEGA im Rücken fiel Hotshot Racing jedoch ein Paar Nummern kleiner aus, kostet dafür aber auch nur 15 EUR und ist momentan im Game Pass enthalten.
Spielerisch und optisch orientiert sich der Titel wie schon Formula Retro Racing an den poligonalen Funracern der frühen 90ern inklusive Checkpoint-Zeitlimit, macht aber zumindest in Sachen Umfang eine bessere Figur als der direkte Konkurrenztitel. Zwar wirken die vier Umgebungen Küste, Wüste, Dschungel und Alpen zunächst ebenfalls recht eingeschränkt, bieten jedoch jeweils 4 eigene Streckenführungen, die erwartungsgemäß auch rückwärts befahren werden können. Auch bei der Ausgestaltung der Rundkurse scheint es so, als ob sich die Entwickler Wort für Wort an meine Formula Retro Racing Kritik gehalten haben: Neben Windrädern, ansehnlichen Brücken und imposanten Schiffen bieten die Pisten noch eine ganze Reihe weitere geforderte Eyecatcher, die im typisch farbenfrohen Low-Poly-Gewand erstrahlen, das sich an den grafischen Gegebenheiten vergangener Hardware orientiert, in der Form so aber bestimmt nie möglich gewesen wäre. Einige Passagen wie die Streckenführung im Innern eines Vulkans oder mitten durch ein Kasino sind für meinen Geschmack abseits eines Comic-Cart-Racers beinahe schon zu fantastisch, andererseits passen sie durchaus zum Charme der anvisierten Zeitepoche, in der 3D-Racer die Grenzen der Grafikengines mit immer spektakuläreren Beiwerk ausreizten. So hatte ich fast schon vergessen, dass ein zünftiger Jahrmarkt samt Riesenrad praktisch zum guten Ton eines jeden 90er Jahre Rennspiels gehörte.
Auch bezüglich der Fahrzeugauswahl kann Hotshot Racing mit 32 verschiedenen Autos locker an der Ein-Modell-Politik von FRR vorbeiziehen. Die Boliden orientieren sich auch ohne offizielle Lizenz recht offensichtlich an Marken wie Porsche oder Aston Martin und reichen von klassischen Sportwagen über amerikanische Muscle Cars bis hin zu Rennwagen aus der Le Mans oder Formel 1 Serie. Eine grundsätzlich nette Idee ist dabei die eingeführte Ebene der auswählbaren Figuren hinter dem Lenkrad, die auf jeweils 4 Fahrzeuge zurückgreifen können, welche sich geringfügig in den Bereichen Beschleunigung, Geschwindigkeit und Drift unterscheiden. Denn nach Beendigung einer der je vier Strecken umfassenden Meisterschaften gibt für jeden Fahrer oder Fahrerin eine kurze Abschlusssequenz, die den Werdegang des jeweiligen Charakters kurz weitererzählt und Erinnerungen an Single-Player Modi von Prügelspielen wie Street Fighter II weckt. Leider greift das Spiel hier vielleicht auch dem Retroaspekt geschuldet auf nationale Klischees zurück, die inzwischen etwas überholt sein dürften, zumal sich die während der Rennen vorgetragenen Sprüche oft wiederholen und schnell nerven, unabhängig davon ob sie nun von der japanischen Fahrerin in gebrochenem Englisch stammen, mit viel jamaikanischen „yaaa, maaaaan“ durchmischt sind oder aus schlechten „in russia …“ Gags vom Teilnehmer aus der UDSSR bestehen. In der Cockpit-Ansicht entdeckt man dann in Form von japanischen und britischen Rechtslenkern doch noch eine weitere nationale Besonderheit, die aber wie die restliche Innenraumgestaltung etwas untergeht, da ich diese Art von Spielen sowieso üblicherweise aus der entfernten Verfolgerpespektive bestreite.
Abseits der weiteren klassischen Varianten Einzelrennen und Zeitfahren versucht sich Hotshot Racing darüber hinaus noch an zwei eigenständigen Spielmodi: Im Explosionsmodus gilt es ähnlich dem Film Speed nicht unter eine ständig ansteigende Mindestgeschwindigkeit zu fallen, während man bei Räuber und Gendarm Geld auf der Strecke aufsammelt und versucht, Gesetzeshütern auszuweichen, beziehungsweise in deren Rolle schlüpft, falls die eigene Karosserie noch vor Beendigung des Rennens zu sehr beschädigt wird.
Insgesamt stellt sich Hotshot Racing also im Gegensatz zu Formula Retro Racing als das komplettere Spiel dar, doch ist es damit automatisch auch das bessere? Nicht unbedingt, da neben dem thematisch zwar passenden, jedoch wenig treibenden Düdelsound ausgerechnet das Fahrverhalten selber Anlass zur Kritik gibt. Denn auch wenn das Geschwindigkeitsgefühl ebenfalls recht gut vermittelt wird, hatte ich trotz oder gerade wegen der etwas anspruchsvolleren Steuermöglichkeiten nicht ganz so viel Spaß beim Rundenziehen wie beim retroinspirierten Formel 1 Ableger. So kommt fern jeglicher Simulationsattitüde ein Boost zum Einsatz, der sich durch Fahren im Windschatten oder Driften auffüllen lässt. Jedoch vermisse ich gerade beim Streckenschliddern jene übertriebene Kontrolle, die diese Manöver noch in Outrun 2, Sonic Team Racing oder Ridge Racer so spaßig machten. Stattdessen gibt es unverhofft oft Kontakt zur Fahrbahnbegrenzung, wobei mir der Lenkeinschlag auch bei normaler Fahrt und reduzierter Geschwindigkeit oftmals zu gering vorkommt und man so schneller aus der Kurve getragen wird, als einem lieb ist. Immerhin gewöhnt man sich relativ schnell an dieses stärker „geerdete“ Fahrverhalten und die Rennen machen dann auch durchaus Spaß, lassen aber dennoch den Flow anderer Arcaderacer vermissen. Dazu passt, dass die Strecken zwar allesamt weitestgehend angenehme fahrerische Herausforderung bieten, einige Schikanen jedoch merkwürdig deplatziert wirken und so die Rennen wortwörtlich ausbremsen. Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund des in den normalen Wettkämpfen fehlenden Schadenmodells die computergesteuerten Gegenspieler zumindest auf dem leichtesten der drei Schwierigkeitsgrade ohne Rücksicht auf Verluste auch mal gerne zu Rammattacken ansetzen, während sie mir bereits auf der mittleren Stufe hoffnungslos davon fahren. Auch im kurz angetesteten Onlinemodus ergibt sich ein ähnliches Bild, wobei das Matchmaking etwas holprig ausfällt und sich bereits kurz nach erscheinen des Spiels Schwierigkeiten ergaben, ein komplettes Fahrerfeld zusammenzustellen.
Und trotz des größeren Umfangs lässt auch bei Hotshot Racing die Langzeitmotivation zu wünschen übrig, zumal mit Fahrzeugen, Strecken und Meisterschaften praktisch alle relevanten Aspekte bereits zu Beginn komplett zur Verfügung stehen. Wenigstens verdient man mit jedem Rennen je nach Platzierung Geld, dass in kosmetische Modifikationen wie Lackierungen und Teile wie Scheinwerfer oder Bodykits investiert werden kann. Ganz nett ist der Ansatz, dass hier einzelnen Optionen oder Elemente erst durch In-Game Herausforderungen freigeschaltet werden müssen, jedoch sind die Anforderungen wie 20 mal in einem Rennen zu boosten oder eine Gesamtzahl an Drifts durchzuführen für jedes Fahrzeug identisch. Daher werden diese Aufgaben eher beiläufig denn gezielt absolviert beziehungsweise verkommen zum Grind, der oftmals kaum die Mühe wert ist, zumal die Anpassungen keinerlei Einfluss auf die Performance der Fahrzeuge haben und das Aussehen auch nur in sehr geringem Maße verändern.
Somit gewinnt Hotshot Racing den Vergleich zu Formula Retro Racing aufgrund der kompletteren Ausstattung zwar um eine Wagenlänge, ist für sich alleine betrachtet aber ebenfalls nur ein durchschnittliches Rennspiel mit leicht biederer Fahrphysik, das sich strukturell etwas zu sehr an sein Retrovorbild klammert. Eventuell gehöre ich einfach nicht zur Zielgruppe beziehungsweise missverstehe die Zielsetzung des Spiels, vielleicht muss man sich jedoch auch eingestehen, dass mache Aspekte alter Genres schlechter gealtert sind als andere und sich daher weniger für ein nostalgisches Revival eignen, insbesondere, wenn Vertreter aus der Spielhalle als Vorbilder für den heimischen Computer- und Konsolenbereich herangezogen werden. Auch wenn es zuweilen sicherlich etwas übertrieben wird, dürfte es schon einen Grund haben, warum hier Fortschritts- und Auflevelmechaniken seit Jahren fester Bestandteil vieler Spiele sind. Schließlich sorgen sie für einen längerfristigen Anreiz, sich mit einem Spiel auseinanderzusetzen, der auch Hotshot Racing gut zu Gesicht stehen würde, zumal die Substanz dafür vorhanden ist und der Fokus des Spiel offensichtlich nicht auf dem Mehrspielermodus liegt.