Push the button: konsequenzenreiche Gedankenexperimente in Videospielen
geschrieben am 14.08.2022
Es mag am Dämmerzustand zwischen „eben-noch-tief-schlafend“ und „wach-genug-um-den-Rest-des-Tages-zu-bewerkstelligen“ liegen, aber für mich ist die morgendliche Dusche oft ein Quell an merkwürdigen Gedankengängen. So entstand beim täglichen Reinigungsritual nicht nur in Anbetracht der Energiekriese die Idee zur Mitdusch-Zentrale für Singles (Alleine Duschen wäre doch Warm-Wasserverschwendung) und die Frage, ob sich der Vorname Günther von der grichischen Vorsilbe gyn ableitet und damit das männliche Pendent zu Andrea ist, sondern ich musste auch ohne konkreten Anlass an den Film The Box denken. Nun ist der Streifen aus dem Jahr 2009 mit Cameron Diaz nicht sonderlich gut oder anderweitig bemerkenswert, übt sich aber zumindest in der Auseinandersetzung mit einem Gedankenexperiment. Für diejenigen, denen die Handlung bisher nicht bekannt ist, sei hier die Grundprämisse kurz erklärt: Die Eheleute Lewis erhalten von einem myseriösen Fremden die namensgebende Kiste, die mit einem roten Knopf ausgestattet ist. Wird dieser Knopf betätigt, erhält das Paar einen Million Dollar, jedoch stirbt zeitgleich eine den beiden unbekannte Person. Wo der Film übernatürliche Erlärungen liefert bzw. die fragwürdige Funktionsweise Bestandteil der moralischen Überlegung ist, wäre ein ähnliches Experiment in einem Videospiele eigentlich recht einfach umzusetzen. Jeglicher Titel mit dauerhaft serverseitig gespeicherten Charakteren wie z.B. World of Warcraft würde sich dazu anbieten. Ein Spieler oder Spielerin erhält die Todeskiste, die bei Nutzung der eigenen Spielfigur massig Vorteile in Form von Ausrüstung, Erfahrungspunkte oder In-Game-Währung verpasst, eine andere aber dauerhaft löscht. Daraus könnten sich interessante Fragen wie „würde man an so einem Spiel überhaupt teilnehmen, wenn das stete Damoklesschwert der Löschung über einem schwebt“ ergeben, und auch Variationen wie „es wären nur „böse“ Charaktere mit schlechten Karma-Punkten betroffen“ (wobei natürlich die Benutzung der Box die schändlichste aller Taten darstellen würde)) wären umsetzbar.
Moralische Konsequenzen des eigenen Handels innerhalb der Spielwelt sind dabei schon seit langer Zeit Bestandteil interaktiver Erzählstrukturen, man denke nur an die Atombomben-Entscheidung in Fallout 3. Doch auch der Gedanke, Mechaniken zu schaffen, die über die Grenzen des eigentlichen Spielnarrativs hinausreichen, ist nicht neu. So soll Hideo Kojima bereits zu Playstation2 Zeiten überlegt haben, ob man nicht ein Spiel erschaffen könne, dessen Disk sich nach einmaligen Spielen selbst zerstört. Ironischerweise sind derartige Szenarien bei modernen Titeln dank Online-Zwang realer als jemals zuvor, wenn auch sicherlich nicht im vorhinein als erzählerisches Feature geplant. Wie die Verbindung von Spielerinnen uns Spielern (zumindest theoretisch) für ein soziales Experiment genutzt werden kann, zeigte sich dann Jahre später in Metal Gear Solid V: the phantom pain: Im Multiplayermodus können eigene Basen mit Atomwaffen bestückt werden, doch nur, wenn sich die Gemeinschaft je Plattform auf eine konsequente Abrüstung einigt, wird eine spezielle Cutscene freigeschaltet. Leider wurde diese Belohnung mehr durch Dataminig denn durch eine atomwaffenfreie (Spiel)welt öffentlich, zumal unlängst entdeckt wurde, dass ein legitimes Erreichen dieses Ziel durch technische Unstimmigkeiten praktisch unmöglich ist.
Nicht frei von Kontroversen war auch das von Profi-Plaudertasche Peter Molyneux beziehungsweise seiner Firma 22Cans initiierte soziale Experiment Curiosity – What’s Inside the Cube? Gemeinsame Aufgabe war es, Schicht für Schicht eines aus 69 Milliarden kleineren Würfeln zusammengesetzten Quaders abzubauen, um ein „lebensveränderndes Ereignis“ im Kern zu enthüllen. Der Knackpunkt dabei: nur die Person, die den letzten Baustein entfernte, kam in dessen Genuss. Während eventuelle Erkenntnisse des Experiments selber wie erstaunliche Userzahlen oder das kooperative Verhalten der Beteiligten relativ sang- und klanglos untergingen, sogte vielmehr die Handhabung des Preises für negative Schlagzeilen. Denn der Brite Bryan Henderson, der des
Als versöhnlicher Ausklang und quasi positiver Spiegelzwilling des eingangs erwähnten Wie-weit-würde-ich-für-den-persönlichen-Nutzen-gehen Dilemmas sei noch die finale Sequenz in Nier Automata aus dem Jahr 2017 erwähnt. Denn statt für den eigenen Vorteil den Schaden anderer in Kauf zu nehmen, wird man vor die Wahl gestellt, selbstlos das eigene Leben (in Form des Speicherstands) zu opfern, um anderen in einer ansonsten praktisch unüberwindbaren Situation zur Seite zu stehen.