Neben zahllosen originellen Schöpfungen hat sich die Videospielindustrie seit jeher auch gerne bei anderen bestehenden Medien und Kunstformen bedient. Mit dem praktisch zeitgleichen Aufkommen cineastischer Mega-Blockbuster wie Starwars, Indiana Jones, E.T. oder der weiße Hai waren noch bis vor einigen Jahren interaktive Adaptionen von Filmen besonders beliebt und häufig anzutreffen, doch auch TV-Serien, Bücher oder Comics sind gern gesehene Vorlagen für Konsolen- und Computerspiele. Titel, die hingegen auf Bands, Solokünstlern oder gar einzelnen Songs basieren, sind dagegen eher selten, vor allem, wenn man Musik- und Tanzspiele wie Rockband, Guitar Hero oder Britney’s Dance Beat außer Betracht lässt. Den wenigen verbleibenden Vertretern ist diese Liste gewidmet

KISS Psycho circus: The Nightmare Child (2000, PC/Dreamcast)

Eigentlich passt KISS Psycho circus: The Nightmare Child nicht ganz in diese Liste, basiert der etwas in Vergessenheit geratene Egoshooter doch auf der KISS: Psycho circus Comicreihe von Spawn-Schöpfer Todd McFarlain, die wiederum an die Bühnenpersonas der geschminkten Altrocker angelehnt ist. Der Titel unterstreicht jedoch nicht nur die Geschäftstüchtigkeit der Band durch crossmediale Präsenz, sondern ist mit seiner Kombination aus Quake-Inspiriertem Gameplay und „düster-erwachsemen Indie-Comic“ geradezu ein Paradebeispiel für die „Edginess“ der Medien- und Spielelandschaft um die Jahrtausendwende.

Michael Jackson’s  Moonwalker (1990 Arcade / Megadrive / Master System)

Auch Michael Jackson’s Moonwalker erfüllt genaugenommen nicht exakt die selbsterdachten Anforderungen dieser Aufzählung, ging den Spielen doch der gleichnamige Musikfilm von 1988 voraus. Da der abendfüllende Streifen jedoch im Grunde genommen lediglich ein ausgedehntes Musikvideo ist, machen Segas Versoftungen hier absolut Sinn (U.S. Golds grottenschlechte Titel für diverse 8Bit Heimcomputer seien hier einmal bewusst verschwiegen). In zwei grundsätzlich recht verschiedenen Spielen erwehrt sich der King of Pop in der Spielhalle in isometrischer beziehungsweise auf SEGAs Heimkonsolen in seitlicher Ansicht allerlei kinderstehlender Spitzbuben und durchläuft dabei verschiedene Umgebungen wie die aus Smooth Criminal bekannte Gangster-Spelunke. Diese erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Musiker und SEGA dürfte auch der Grundstein für weitere Kooperationen gewesen sein, die uns zum Beispiel Space Michael in Space Channel 5 oder Jacksons lange Zeit unbestätigtes Mitwirken am Soundtrack von Sonic 3 bescherten.

Crüe Ball (1992 Megadrive)

Für physikalische Flippertische sind Musiklizenzen eigentlich nichts Außergewöhnliches: Alt-eingesessene Hersteller wie Bally oder Stern bauten schon seit den späten Siebzigern auf die Zugkraft populärer Künstler und Künstlerinnen, und Tische zu Bands wie KISS, Guns N‘ Roses oder Metallica gehören zu den bekanntesten Vertretern der Unterhaltungsform. Bei digitalen Videoflippern scheinen derartige Deals aber eher die Ausnahme zu sein, und so ist Crüe Ball der einzige mir bekannte Vertreter dieser Art. Mit Spielelementen, die so auf keinem echten Flippergerät umsetzbar wären, bleibt aber auch der Electronic Arts Titel zumindest dem musikalischen Metier treu, denn wie viele andere als Stahlkugel-Automat verewigte Bands ist auch die themengebende Mötley Crüe dem Metal / Hardrock Genre zuzuordnen.

Revolution X (1994 / Arcade / PC / Konsolen)

Mit Aerosmith findet sich eine weitere, aber sicherlich nicht die letzte Rockband in dieser Liste. Doch zumindest das spielerische Genre von Revolution X ist hier eher überraschend, denn die Musiker rund um Frontmann Steven Tyler sind die Stars eines Light-Gun Railschooter a la Operation Wolf oder Terminator 2: Judgement Day. Quasi auf der Höhe des durch Mortal Kombat entfachten Digitalisierungshypes nutze Entwickler Midway die eingescannten Ebenbilder der Band in einer hanebüchen Geschichte, in der die verschiedenen Mitglieder von einem totalitären Regime entführt werden, das der Jugendkultur und vor allem natürlich der Rockmusik von Aerosmith den Krieg erklärt hat, und es nun an dem geneigten Spieler liegt, diese zu befreien und die Unterdrücker zu besiegen.

Wu Tang: Shaolin Style (1999 / Playstation)

Ihre Affinität zu asiatischen Kung-Fu Filmen trägt die Anfang der 90er gegründete New-Yorker Hip-Hop-Gruppe mit so illustren Mitgliedern wie RZA oder Ol‘ dirty Bastard bereits im Namen. Was lag kurz vor der Jahrtausendwende also näher, als  sich mit dem Entwickler Paradox Development zusammenzutun, der die Fertigstellung des strauchelnden Prügelspiels Thill Kill einstampfte und die Überresten stattdessen zu Wu Tang: Shaolin Style umgestaltete?

Seikima II Akuma no Gyakushū! (1986 / Famicom / MSX2 )

Zugegebenermaßen habe ich erst kürzlich von diesem Titel und der Tatsache, dass er auf der titelgebenden Metalband Seikima-II beruht, gehört. Das konsequent dämonische Bühnennarrativ der kostümierten Japaner, das sogar die Auflösung der Gruppe zur Jahrtausendwende mit einschloss, dürfte sich zu 8Bit Zeiten aber nicht minder gut für eine Spieleumsetzung geeignet haben wie Frühstücksflockenmaskotchen oder Filme wie Platoon oder Hirty Harry.

Holy Diver (1989 / Famicon )

Das japan-exklusive Sammlerstück Holy Diver ist meines wissens nach der einzige Vertreter in dieser Liste, der nicht auf einer offiziellen Lizenz beruht, doch Entwicklerinterviews und nicht zuletzt der wenig subtil gewählte Titel belegen eindeutig, dass das Spiel auf dem identisch benannten 1983er Album der Heavy Metal Band Dio beruht. Dementsprechend finden sich nicht nur typische Metal-Anleihen und die Band-spezifische Mythologie in der Hintergrundstory wieder, sondern diverse Charaktere sind in ihrer Benennung klar an Metalgrößen wie Ozzy (Osborn), Zakk (Wylde) oder Randy (Rhoads) angelehnt.

Journey ( 1983 / Arcade)

Der älteste Vertreter der bandinspirierten Videospiele in dieser Liste kann auch jenseits der etwas ungewohnten Thematik mit einigen Besonderheiten aufwarten. So war der Automat einer der ersten, der für die Spielfiguren die digitalisierten Portaits der Musiker, die durch Songs wie Don’t Stop Believing bekannt wurden, verwendete. Und hatte man die spielerisch auf damalig traditionelle Sammel- und Ausweichmechaniken setzende, intergalaktischen Instrumentensuche der Band abgeschlossen, spielte ein im Gerät verbauter Kassettenspieler in der finalen Runde statt pipsiger, elektronischer Musikuntermalung den Song Separate Ways.

Teddy Boy Blues (1985, Arcade / Megadrive / Master System)

Gerade dem westlichen Publikum ist der Musikbezug von Segas endlos scrollendem Plattformshooter vielleicht gar nicht so sehr bewusst, schließlich zeigt die knuffige Cartoongrafik während des eigentlichen Spielgeschehens eben keine Mitglieder einer bekannten Musikkombo. Vielmehr beruht der Name und die Hintergrundmusik des Automaten auf dem gleichnamigen Titel des japanischen Pop-Idols Yōko Ishino, das auch in den Start- und Zwischenbildschirmen zu sehen ist. In den Heimversionen blieb davon aber bis auf eben die Bezeichnung des Spiels nichts übrig.

Oops Up/ The Power (1990/1991 / Amiga)

Der Wechsel von 8 zu 16 Bit bescherte Computerspielen nicht nur eine verbesserte Grafik, sondern ermöglichte auch parallel zur Musikindustrie die verbreitete Verwendung von Sprach- und Sound-Samples. Auch im gerne abwertend als Eurotrash bezeichneten Musikgenre kamen diese gerne zum Einsatz, und aus dieser unheiligen Vereinigung ging das spielerisch überraschend gute Oops Up hervor: Während das unverwüstliche Spielprinzip dem Klassiker PANG! beziehungsweise Buster Bros. „entliehen“ war, steuerte das Euro-Dance Urgestein Snap! mit dem entsprechenden Song Titel und auch Soundtrack bei, der dem Original eben dank Samples der relevanten Gesangs- und Quitsche-Parts recht nahe kam. Ein Jahr später wiederholte Entwickler Demonware übrigens zumindest auf dem Amiga dieses Vorgehen, indem der „Agathe Bauer“-Song musikalischer und namensgebender Pate für das Knobel The Power wurde.

Frankie goes to Hollywood (1985 / C64 / Amstrad CPC / ZX Spectrum)

Um ehrlich zu sein ist dieses Spiel einer der Hauptgründe, um diese Liste überhaupt zu erstellen. Meiner Meinung nach werden nicht nur die Songs und Videos der New-Waver massiv unterschätzt und findet in aktuellen 80er Jahre Listen zu wenig Würdigung, auch das für diverse Heimcomputer entwickelte FGTH-Spiel kann als Meilenstein bezeichnet werden. Basierend auf der Ikonographie der Band durchstreift der Protagonist bei seinem Ziel, eine vollständige Person zu werden, einen quasi Open-World Vorläufer von Liverpool, sammelt Objekte ein, bestreitet diverse Minispielchen und entschlüsselt diverse Hinweise zur Lösung eines Mordfalls. Der teils bewusst kryptische und mysteriöse Spielablauf trägt dabei viel zur Faszination des Titels bei, und zumindest die Musikuntermalung der C64 Version verdient eine besondere Erwähnung, denn ähnlich wie an der gut 13 minütigen(!) Originalversion kann man sich auch an der in Endlosschleife laufenden SID-Chiptune-Version von Welcome to the Pleasuredome kaum satthören.

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