XBox Review: Tensei im Test (XBox One/XBox Series)

Unter dem Oberbegriff Videospiel finden sich die verschiedensten Abstufungen elektronischer Unterhaltungsformen, von der rundenbasierten Hardcore-Strategie-Simulation, in der ein einzelner Zug mitunter ganze Stunden dauern kann, bis hin zum stimmungsvollen Walking-Simulator, der mehr auf Atmosphäre denn spielerische Herausforderung setzt. Um zu erörtern, welchen Grad an Interaktivität und Tiefe das Spiel Tensei bietet, hat mir Publisher Project Pegasus freundlicherweise einen XBox-Code zur Verfügung gestellt, und  ich muss sagen, dass mich der Titel überrascht hat. Denn in Anbetracht des Schnäppchenpreises von gerade einmal 2,99 EUR, der Beschreibung als „entspannendes Ultra-Casual Spiel“ und einiger Bewertungen hatte ich wenig mehr als einen steuerbaren Bildschirmschoner erwartet, doch Tensei verbindet fernöstliches Zen-Feeling mit aktuell populärem Kletter-Gameplay.

Die grundlegende Spielmechanik ist dabei schnell erklärt: In Gestalt einer Tuschekugel gilt es, über schwebende Felsen in einer Mischung aus Hüpfen und Gleiten endlose Höhen zu erklimmen. Das mag sich (nicht ganz zu unrecht) nach einer simplen 3D Variante von Doodle Jump oder den Anfängen räumlicher Jump’n’Runs anhören, doch einige Kniffe verleihen dem Spiel dabei  etwas mehr Würze: Denn neben einem Dreifachsprung, der zumindest die optische Verwandlung in allerlei Getier wie Kaninchen oder Koi-Karpfen bewirkt, verfügt der Tintenklecks auch über eine Art mario-esken Hintern-Stampfer, durch den Lava-Brocken und Dornegebilde in begehbare Plattformen verwandelt werden und gleichzeitig noch goldene Orbs spendieren. Des Weiteren kann sich die schwarze Flüssigkeit ähnlich wie der Held in Da Blob über die Seiten von Oberflächen bewegen, und Elemente wie Luftwirbel oder Lotosblüten, die den Bumpern in 3D Sonic-Spielen ähneln, erleichtern die Reise nach oben. Schließlich gibt es noch Ringe, die durchflogen eine Anzeige füllen und so die kurzzeitige Metamorphose in einen fliegenden Drachen einleiten. Dieser braucht dann keine Angst vor Abstürzen haben, sorgt aber ironischerweise durch seine Größe für leichte Übersichtsprobleme. Denn neben der Steuerung der Spielfigur ist man die meiste Zeit mit der manuellen Justierung der Kamera beschäftigt, schließlich muss einerseits die Umgebung oberhalb der eigenen Position nach geeigneten Plattformen abgesucht werden und andererseits sichergestellt werden, dass man sicher und punktgenau auf ihnen landet. Durchaus hilfreich ist dabei eine gestrichelte Lot-linie unterhalb des Farbballs, die den aktuellen Aufprallpunkt markiert, und auch, wenn die Steuerung mitunter etwas holperig und vertrackt ausfallen kann, macht sie doch einen Großteil von Tenseis Reiz aus. Zunächst etwas gewöhnungsbedürftig ist die Tatsache, dass die nicht anpassbare Controllerbelegung den B-Knopf für Sprünge vorsieht und sich somit gegen alles langwierig Erlernte stellt. Nach kurzer Zeit hat man jedoch auch das verinnerlicht, zumal die weiteren Aktionsmöglichkeiten ja recht überschaubar sind. Mit seinem gemächlichen Spieltempo und großzügigen Physiksimulation trifft der Titel tatsächlich ein gelungenes Mittelmaß zwischen Freiraum bietendem Gameplay mit ausreichender Herausforderung, um nicht ins Belanglose abzugleiten, und entspannender Spielerfahrung, um sich nur auf den Augenblick zu konzentrieren.

Einen nicht unerheblichen Anteil daran dürfte auch die extrem stilvolle Präsentation haben. Denn nicht nur auf den ersten Blick wirkt die Szenerie in Tensei wie ein asiatisches Tuschezeichnung, die sich von Natur aus auf die stimmungsvolle und reduzierte Darstellung von Landschaften konzentriert und in Japan als Sumi-e eng mit dem Zen-Buddhismus verbunden ist. Erzeugt wird dieser Effekt neben der Motivwahl nebst blasser, angedeuteter Hintergründe vor allem durch teils kräftige Außenlinien, die Objekte wie gemalt erscheinen lassen, und geschickt abgestimmte Farben und Texturen. Ohne technische Höchstleistungen anzustreben ergibt sich so ein wirklich phantastisches Gesamtbild, in dem man sich verlieren möchte. Unter Berücksichtigung der eigentlich stets gleichbleibenden Spielmechanik sorgen höhenabhängige Jahreszeiten-Themen mit punktuellen Farbakzenten sowie viele geschmackvoll in der kargen Felslandschaft platzierte Elemente wie Wasserfälle, Teehäuser oder einfach nur eine knorrige japanische Schwarzkiefer oder Laterne für ausreichend Abwechslung und Motivation. Darüber hinaus verleihen zahlreiche kleine animierte Details wie durch die Luft wehende Blütenblätter oder schlicht sich bewegende Pinselstriche zur Verdeutlichung einer leichten Brise der Umgebung ausreichend Dynamik und Charakter, ohne sich allzu sehr vom reduzierten Stil der statischen Vorlage zu entfernen. Auch die minimalistische Soundkulisse, die mitunter mal das Plätschern eines Rinnsals oder schlicht das Säuseln des Winds erklingen lässt, passt hervorragend zur entspannenden Atmosphäre. Die Jazz-Gitarre, die dezent im Hintergrund erklingt, soll wohl ebenfalls diesem Zweck dienen und macht diesbezüglich eigentlich auch nichts falsch, jedoch scheint mir die Sound-Schleife arg kurz zu sein, bevor sie sich wiederholt, und angesichts der Thematik wären beispielsweise die Klänge einer Koto womöglich passender.

Trotz freischaltbarem Endlosmodus und weniger kaufbarer Ausrüstung wie „Versicherungen“ gegen Abstürze und Lavakontakt ist Tensei sicherlich kein „Umfangmonster“, das man monatelang spielt, und will es garantiert auch gar nicht sein. Stattdessen ist es eine kleine, aber feine Übung in Konzentration auf eine simple Spielmachanik, die konsequent umgesetzt wurde, so dass auch das Fehlen jeglicher Checkpunkte für einen kontinuierlichen Fortschritt nicht weiter vermisst wird. Vielmehr stellt sich bei der Jagd nach einem neuen Höhen-oder Punkterekord ein wohlig nostalgisches „nur-noch-ein-Versuch“-Gefühl mit „diesmal-schaffe-ich-es“-Attitüde vergangener Tage ein, genau so wie mich einige andere Aspekte des Spiels unerwartet positiv an frühe 3D-Titel erinnert haben. Somit ist Tensei vielleicht kein dauerhafter Ersatz für eine Meditation, als stressfreie Spielerunde zwischendurch zum Preis eines Coffee-To-Gos jedoch durchaus geeignet, um der Hektik zu entfliehen.

Kommentar


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