Einige der meiner Meinung nach interessantesten Videospiele der letzten Jahre basieren auf der Verbindung von eigentlich komplett unterschiedlichen Genres. Yoku’s Island Express zum Beispiel ist zu gleichen Teilen Flipperautomat und Metroidvania, während Dicy Dungeon Rouge-Light-Dungeoncrawling und Würfelspielelementen a la Kniffel mischt.
Auch BROK the InvestiGator von Entwickler und Publisher CowCat Games setzt neben dem typischen Rollenspiel-Auflevel-System, das sich inzwischen in praktisch jedem Spiel wiederfindet, auf die ungewöhnliche Kombination von Brawler-Pügelei und Point-n-Click Abenteuer. Das Spiel ist bereits seit einiger Zeit für den PC erhältlich, doch die Konsolenversionen für Playstation, XBox und Switch erschienen erst am 01.03.2023, von denen mir freundlicherweise ein Code für die Xbox One zur Verfügung gestellt wurde.
Vom Ablauf her ist BROK the InvestiGator vorrangig ein storylastiges Adventure-Game, doch anders als es die farbenfrohe Zeichentrick-Optik vermuten lässt, unterscheidet sich die Spielwelt voller anthropomorpher Tieren wie Reptilien, Katzen und Vögel teils deutlich vom freundlich-heiteren Setting der Glücksbärchen und Co. Vielmehr wird eine krisengebeutelte, dystopische Zukunft voller Zerfall, Klassenunterschiede und staatlicher Überwachung beschrieben. Angesichts fast schon nihilistischer Situationen, beispielsweise wenn ein obdachloser Veteran sein Ableben bereitwillig akzeptiert, weil er KreditHaien Ratten das Geld für seine Medikamente nicht zurückzahlen kann, bin ich mir nicht ganz sicher, inwieweit der Titel gar politische Gesellschafts- und Technologiekritik im Gewand einer Fabel sein soll oder doch überspitzte Satire. Denn strukturell bleibt es den Samstag-Vormittags-Cartoons, die offensichtlich als Inspiration dienten, durchaus treu und bietet auch viel Amüsantes wie Anspielungen auf Disney-Channel-Serien, die dezent genug sind, um Eingeweihten ein ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Aber auch die persönlichen Schicksale, denen sich der namensgebende Protagonist Brok gegenübersieht, sind verhältnismäßig bodenständig und ernst, wenn er sich z.B. als Witwer um die Erziehung des pubertierenden Kind seiner verstorbenen Frau kümmern muss. Um sich und sein Adoptivsohn Graff, den man in späteren Kapiteln parallel durch eigene Aufgaben steuert und somit die Handlungen aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, jenseits der Oberschicht selbst als Alligator über Wasser halten zu können, arbeitet Brok in verschiedenen Berufen, insbesondere als Privatdetektiv. In bester Tradition entsprechender Kriminalgeschichten ist dann auch in seinem jüngsten Fall, der sich zunächst nach einem einfachen Routinejob anhört, nicht alles so, wie es auf den ersten Blick scheint. Die in zusammenhängende Episoden aufgeteilte Story nimmt mit ungewohnten Wendungen bis hin zu Columbo-esken Mordermittlungen und Mystery-Einflüssen einen interessanten Verlauf, sich dabei aber auch genügend Zeit, um dem vielleicht nicht in allen Aspekten perfekt ausgearbeiteten Science-Fiction-Szenario und den persönlichen Dramen genug Raum zur Entfaltung zu geben. Das liegt vor allem an der Gesprächigkeit der Figuren, allen voran Brok, der zu praktisch jedem der zahlreichen Umgebungsobjekte einen Kommentar zwischen Zweckoptimismus und „Früher-war-alles-besser“-Attitüde bereit hält, und auch in den Dialogen mit anderen Charakteren stehen nicht nur quest-relevante Gesprächsthemen zur Auswahl, sondern man kann auch zu vielen der mitgeführten Gegenständen eine Meinung einfordern.
Die durchdachte Controller-Steuerung trägt ebenfalls stark dazu bei, tief in die Welt von BROK the InvestiGator einzutauchen: Da man die Spielfiguren zügigen Schrittes direkt bewegt, sind interagierbare Bereiche schnell erreicht, zumal in deren Nähe ein erklärender Text eingeblendet wird. Sollte dennoch Unklarheit drüber herrschen, ob man in den maximal zwei bis drei Bildschirm großen Lokalitäten alles Interessante untersucht hat, können mit der X-Taste sämtliche Hotspots eingeblendet oder zwischen ihnen mit dem Steuerkreuz durchgeschaltet werden, und für den seltenen Fall, dass Gegenstände mal etwas zu dicht beieinander stehen, lässt sich mit dem linken Stick noch ein Cursor pixelgenau platzieren. Damit ist die Bedienung nahezu perfekt auf die Konsole angepasst und lässt klassische Maus-Interfaces am PC wie ein klobiges Relikt aus alten Tagen wirken. Lediglich in der Nähe von Ausgängen sorgt die unmittelbare Steuerung ab und an dafür, dass man ein Areal vielleicht unbeabsichtigt verlässt und so wieder auf der Weltkarte landet, um andere Schauplätze zu erkunden. In Kombination mit dem Inventar reicht dann auch praktisch eine Taste aus, um die teils anspruchsvollen Denksportaufgaben zu lösen. Gelegentlich muss man zwar leicht um die Ecke denken oder in seltenen Fällen herumprobieren, doch in der Regel sind die Puzzle sehr konkret entworfen und haben nachvollziehbare Lösungen, so dass sich gleich mehrfach sehr befriedigende „A-ha“-Momente eingestellt haben. Dabei wird viel Abwechslung geboten, denn neben klassischen „Benutze-Gegenstand-X-mit-Objekt-Y“ Point and Klick Aufgaben finden sich auch für sich alleine stehende Logikrätsel, Escaperoom-Elemente oder Dialogknobeleien. Außerdem haben verschiedene Handlungsmöglichkeiten teils deutlichen Einfluss auf den Verlauf der Geschichte und eröffnen optionale Aufgaben. Für meinen Geschmack leider viel zu selten muss Brok seinen kriminalistischen Verstand in Verhörsituationen nutzen, um ähnlich der Ace Attorney Reihe in großartiger Weise Informationen, die er im Laufe des Abenteuers gesammelt hat, so zu verknüpfen, dass sich neue Erkenntnisse oder Widersprüche ergeben. Und reicht der Hirnschmalz in machen Situationen nicht aus, kann auch auf rohe Muskelkraft zurückgegriffen werden. Ein simpler Knopfdruck genügt nämlich, um in den Prügelmodus zu wechseln. Der ermöglicht es nicht nur, agil durch die Landschaft zu hüpfen, was ebenfalls zum Knacken der einen oder anderen Kopfnuss beiträgt, sondern auch, nach belieben Backpfeifen auszuteilen und auf Gegenstände einzuschlagen. Auf diese Art und Weise eröffnen sich dann auch verschiedenste Herangehensweisen zur Bewältigung ein und der selben Aufgabe, so dass mich BROK the InvestiGator in diesem Punkt stark an die leider viel zu sehr unterschätze Quest for Glory Reihe erinnert. Beispielsweise könnte man eine Türe einfach einschlagen oder sich auf die Suche nach einem entsprechenden Code machen.
Spielt man das Spiel nicht im einfachen Modus, sind manche Auseinandersetzungen jedoch unvermeidlich, und der Titel entfaltet sein vollständiges Brawler-Potential. Denn so gelungen der hauptsächliche Adventure-Anteil ist, so kompetent sind die Prügelabschnitte. Bei den Rangeleien mit Gang-Mitgliedern, Profikämpfern und Sicherheits-Robotern bietet Brok the InvestiGator alles, was man von einem entsprechenden Spiel erwartet, und mehr. Gemäß der massiven Figuren steckt in den Hiebe und Tritte merklich Gewicht, und eine Block-Taste, die ich in vielen anderen Genrevertretern schmerzlich vermisse, verleiht dem Kombo- und Air-Juggle-lastigen Kampfsystem eine weitere taktische Note. Nun sind die Schlägereien während der Story-Abschnitte relativ kurz gehalten, um die Geduld nicht unnötig zu beanspruchen, in meinen Augen stehen sie aber durchaus aktuellen Vertretern des in letzter Zeit wiederbelebten Metiers wie Streets of Rage 4 in kaum etwas nach, auch wenn ich etwas die Möglichkeit vermisse, Wiedersacher zu greifen. Vermutlich auch darum kann Brok an virtuellen Arenakämpfen zur Aufbesserung des stets knappen Budgets teilnehmen beziehungsweise für diese abendlich stattfindenden Veranstaltungen trainieren. In bestem Stile eines Rouge-Lights wird dann aus verschiedenen Bausteinen ein kurzer, linearer Level generiert, der neben allerlei Gegner auch einige Fallen wie Minen oder herabfallende Felsen enthalten kann. Auch wenn letztere Elemente vielleicht etwas zu viel des Guten sind, machen diese Kämpfe jede Menge Spaß (weswegen sie auch unabhängig vom Spielverlauf direkt vom Hauptmenü aus gestartet werden können) und dienen darüber hinaus mit Erfahrungspunkten noch dazu, die eigenen Fähigkeiten hinsichtlich Stärke, Lebensenergie oder Spezialangriffen aufzubessern. Lediglich wenn zu viele zu starke Gegner wie Militärroboter, die ganz eigene Taktiken benötigen, in den Mix geworfen werden, wird das ganze etwas hektisch, andererseits erlauben es Gegenstände wie Nahrungsmittel, Energydrinks oder Waffen die Oberhand zu behalten.
Wer übrigens angesichts dieser Actioneinlagen besorgt um ein vorzeitiges Game Over ist, darf getrost aufatmen. Genau wie bei den Toden, die Brok auch im Adventure-Teil ereilen können, wird man nicht nur praktisch unmittelbar wieder an die Stelle des Scheiterns versetzt, sondern die verschiedenen, jeweils mit eigenen Bildern dokumentierten Sterbesituationen sind auch eines von unzähligen Sammelobjekten. Neben freischaltbaren Galerien sind in jedem Schauplatz außerdem noch drei Werbeflyer verborgen, die sich ihrerseits mitunter hinter kleineren Rätselaufgaben verstecken und die gegen hilfreiche, aber nie zu direkte Ratschläge eingetauscht werden können, sollte man einmal feststecken.
Anhand der Konzept- und Produktionszeichnungen lässt sich dann auch gut der optischen Werdegang des Kickstarterprojekts nachvollziehen, wobei ich gestehen muss, dass mir der Grafikstil zunächst nur bedingt zugesagt hat. Anfangs scheinen die handgezeichneten Umgebungen etwas zu bunt und chaotisch und die Figuren könnten mit ihrer flächigen Gestaltung und Zoom-Effekten wie ein Fremdkörper wirken und Erinnerungen an triviale Flash-Spielchen wecken. Dieser Eindruck verfliegt aber schnell und man hat sich rasch an den etwas kruden Look gewöhnt. Winzig kleine Probleme treten allenfalls im Zusammenhang mit der Darstellung der räumlichen Tiefe in den letztlich zweidimensionalen Umgebungen aus, so dass es eventuell mal vorkommt, dass der flache Held etwas weiter über einen Vorsprung ragt, als es eigentlich möglich sein sollte, oder zu früh hinter einem Schreibtisch verschwindet. Zudem sind die Hintergründe sehr statisch gehalten und zeigen allenfalls mal ein paar Fahrzeuge, die sich durch das Bild schieben. Auch bei den Animationen der Handlungstragenden scheint man klare Prioritäten gesetzt zu haben. Die Charakterportraits in den Gesprächen verfügen noch über ausdrucksstarke Mimik und die Standardbewegungen der tierischen Geschöpfe sind ausreichend flüssig animiert. Vor allem in den Prügelabschnitten kommt dieser Verzicht auf allzu ausladende und akribische Wiedergabe der Abläufe sogar der flotten und direkten Spielbarkeit zugute. Leider werden aber auch für sonstige, speziellen Handlungen weniger die konkrete Ausführung als oftmals nur das Ergebnis mit ein, zwei Zwischenschritten dargestellt. Damit dürfte sich Brok the InvestiGator eher an einfachen Hanna-Barbera-Cartoons als an detailverliebten Disney-Spielfilme orientieren, was der Präsentation insgesamt aber keinen Abbruch tut, zumal die animalischen Akteure ähnlich sympathisch designt sind wie Jabberjaw oder Wally Gator. Doch heimliches Highlight des Spiels ist sowieso die vollständige englischsprachige Vertonung. Beeindruckende 23000 Zeilen des gut ausgearbeiteten Skripts wurden von den Synchronsprecherinnen und Synchronsprechern in einer Qualität vorgetragen, die sich mit Hörspielen oder eben einer Zeichentrickepisode durchaus messen kann. Gerade im Kontext der comicartigen Inszenierung wirken die deutlich vorgetragenen Dialoge trotz einigem Pathos nie deplatziert oder mit unnötig verstellter Stimme eingesprochen, sondern lassen die Konflikte trotz der tierischen Beteiligten erstaunlich menschlich wirken. Dazu gesellt sich ein unaufdringlicher Soundtrack, der mit punktuell eingesetzter, dramatischer Musikuntermalung gekonnt zum Spannungsaufbau beiträgt.
Nicht nur mit seiner reifen Story, die gegen Ende leider etwas abdriftet, richtet sich Brok the InvestiGator klar an Spielerinnen und Spieler, die in den frühen 90ern und somit in der Hochzeit des Adventure- und Beat’em Up Genres und entsprechenden Cartoonserien aufgewachsen sind. Doch statt einfach nur auf auf nostalgisches Retro-Gameplay zu setzen, wurden gleich zwei Genres gekonnt an moderne Belange angepasst und zu einer nahtlosen, homogenen Spielerfahrung zusammengefügt. Überdies bietet der Titel mit seinen Action-Elementen, optionalen Nebenaufgaben und unterschiedlichen Enden für das Adventure-Genre eigentlich unüblich viel Wiederspielwert, der über die eine oder andere raue Kante des Spiels hinwegsehen lässt. Die tadellose Spielbarkeit und Qualität von BROK the InvestiGator lässt mich auf jeden Fall hoffen, dass Entwickler CowCat mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht und vielleicht sogar in Kooperation mit einem Lizenzgeber weitere Spiele dieser Art zu in Vergessenheit geratenen Zeichentrickserien wie beispielsweise Fish Police entwickeln darf.